
Der Einfluss der Club-Kultur
Früher kaum wahrgenommen – heute wie selbstverständlich im Ohr, am Fuß und auf dem Kopf.
Im nicht enden wollenden Zeitalter der Retromanie auf allen Ebenen, lacht man gerne mal über die fast täglichen Dokumentationen in Funk und Fernsehen, mit all den vermeintlichen Peinlichkeiten der 80er Jahre. Meistens fängt das mit dem Zauberwürfel an, geht dann über den Walkman und die Karottenhose und endet bei Dieter Bohlen. Alles natürlich in pink oder grün, von den damaligen Frisuren ganz zu schweigen.
Es ist das, was man sich optisch unter dieser Zeit vorstellt oder in Erinnerung hat.
In der Realität war das Straßenbild allerdings aber meistens eher von Langweile geprägt und ähnlich uniform wie heute.
Wenn es in solchen Darstellungen um Musik geht, dann fast ausschließlich um die,
die damals im Radio lief und in den Charts war. Die BRAVO griff Trends natürlich erst dann auf, wenn sie massenkompatibel waren, auch wenn die meisten Leser sich selbst als individuell empfanden – ähnlich wie heute.
Man fragt sich aber oft, wo eigentlich das Lebensgefühl dokumentiert wird, welches damals viele weitab vom Mainstream gelebt haben. Dass es eine sehr lebendige Subkultur gab, die alles andere als kitschig und peinlich war, ist in Dokumentationen oder Retro-Einspielern in Rate- und Talkshows selten zu sehen. Vielleicht liegt das auch daran, dass es mangels technischer Möglichkeiten kaum sendefähiges Material darüber gibt. Niemand ging in jener Zeit mit einem Fotoapparat in den Club, und privat war es Anfang der 80er außer der Super-8 praktisch unmöglich eine halbwegs gute Filmkamera zu besitzen. Abgesehen davon gab es ja auch keine Plattformen, wo man die Aufnahmen hätte verbreiten können. Irgendwie wollte man vielleicht aber auch unter sich bleiben, sich abgrenzen und eine gewisse Individualität leben.
Aber man ging auch damals schon sehr wohl mitten in der Nacht in dunkle Clubs und hörte ausschließlich elektronische Sounds, die man als Vorläufer von Techno und der gesamten heutigen elektronischen Musik bezeichnen kann. Es gab die Paradiesvögel, die um vier Uhr morgens mit Togas in die Clubs kamen und ihr Spiegelbild auspeitschten.
Der heute von 99% aller Jungs getragene Undercut gehörte damals zu Mao-Jacken, Shorts, Springerstiefeln und schwarzem Liedstrich. Von diesen unbekannten Protagonisten spricht heute nur niemand mehr. Stattdessen reden Promis in Interviews von den coolsten Läden der 80er, dem P1 in München, dem Dschungel in Berlin und dem Trinity in Hamburg. Aber das hatte mit Subkultur ähnlich viel zu tun, wie die Karottenhose, Dieter Bohlen oder die Frisur von Nena. Musikalisch zukunftsweisend waren z.B. Clubs wie das Linientreu in Berlin, das Front in Hamburg und natürlich das Dorian Gray in Frankfurt. Und nein: Man ging auch damals schon nicht in Großraum-Discos, ließ sich nicht nur von „Formel Eins“ mit Peter Illmann, Ingolf Lück und Stefanie Tücking musikalisch und modisch konditionieren, und „Flashdance“ repräsentierte dieses Lebensgefühl in rein gar nichts.
Auch für die Musik der Clubs, die damals schon alle Pioniere des elektronischen Synthie-Pop beeinflusste und nur den DJs vorbehalten war, gab es kaum öffentlich zugängliche Quellen. Wo heute bei MixCloud oder SoundCloud jeder neue DJ Track streambar ist, gab es früher irgendwann nachts Nischensendungen, wie donnerstagabends den „Maxi-Club“ bei SWF3 mit Bernd Mohrhoff, oder bei HR3 den „Maxi-Mix“ mit Frank Seidel. Kult-Sendungen für alle, die süchtig nach neuer elektronischer Musik im non-radio-konformen Maxi-Format waren.
6 Minuten 30 Sekunden „Nowhere Girl“ von B-Movie (1982), oder voll ausgespielte
5 Minuten 40 Sekunden „Doot Doot“ von Freur (1983) aus denen übrigens später Underwold werden sollte.
Aber all diese heute in der Versenkung verschwundenen Innovationen haben die heutigen Moden, die Musik, die Werbung, das Design und das heutige moderne Lebensgefühl ganz sicher mehr beeinflusst als die gängigen Klischees über jene Zeit. Bedauerlich, dass es außer vielleicht manchmal bei der britischen BBC4 kaum authentisches Anschauungsmaterial zu sehen gibt. Zumindest beim nächsten
„Die Super 80er“ einfach abschalten.